1. Insolvenz und weiter selbstständig, geht das?
Auch wenn man einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit als natürliche Person nachgeht (Einzelfirma), ist eine Insolvenz nicht zwingend das Ende der bisherigen Geschäftstätigkeit. Diese kann grundsätzlich fortgeführt werden, wenn der Insolvenzverwalter die Erklärung nach § 35 InsO abgibt. Dort heißt es in Abs. 2:
Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. [Anmerkung: sog. "FREIGABEERKLÄRUNG"]. § 295a gilt entsprechend.
Ein neueres Urteil des Bundesgerichtshofes v. 12.10.2023 (IX ZR 162/22) erörtert dieses Thema neu in anderem Licht. Daher nun ein paar Antworten auf grundlegende Fragen:
2. Was bedeutet Freigabe?
Der Insolvenzverwalter kann, muss aber nicht, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die "FREIGABE" der selbständigen Tätigkeit erklären. Damit werden die Schulden, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden und die damit Insolvenzforderungen gem. § 38 InsO sind, von der Restschuldbefreiung erfasst, wenn diese am Ende der 3 Jahre erteilt wird. Die Freigabe hat für den Insolvenzverwalter den Vorteil, dass er keine Masseverbindlichkeiten begründet. Das Risiko neuer Schulden trägt also der Schuldner, der wirtschaftlich als Selbstständiger weitermacht.
Das Betriebsvermögen (z.B. Betriebsausstattung, Fahrzeuge, Werkzeuge, Mietverträge etc.) wird dann von der Insolvenz, soweit der Schuldner dies für sich für die Fortführung benötigt, nicht erfasst und der Schuldner kann damit weiterarbeiten. Er hat dann aber auch die neu beginnenden laufenden Kosten wieder zu tragen, wie Miete, Steuern, Löhne etc. Und das birgt – wie oben schon angesprochen – natürlich die Gefahr, dass ein vor der Insolvenz nicht rentabel arbeitender Betrieb zu neuen Schulden führt, für die es dann keine Restschuldbefreiung in den nächsten 11 Jahren gibt, sogar ein neues Insolvenzverfahren in Gang setzen kann, dies dann ohne Restschuldbefreiungsmöglichkeit.
3. Welche Pflichten entstehen durch die Freigabe?
§ 295 a InsO gilt entsprechend (§ 35 Abs. 2 S. 2 InsO). Hier der Gesetzeswortlaut des § 295 a Abs. 1 InsO:
Soweit der Schuldner eine selbständige Tätigkeit ausübt, obliegt es ihm, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, als wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Die Zahlungen sind kalenderjährlich bis zum 31. Januar des Folgejahres zu leisten.
3.1 Was bedeutet: Zahlungen zu leisten, als wenn er ein
angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre?
Zunächst -und das ist ganz wichtig: Es ist nicht der Gewinn der Tätigkeit maßgeblich, sondern ein fiktives Einkommen, das der Schuldner erzielen könnte, wenn er Arbeitnehmer wäre:
Der Schuldner hat also zunächst die Pflicht, dem Insolvenzverwalter die Parameter mitzuteilen, dass er und die Gläubiger das fiktive Arbeitseinkommen bestimmen können. Das wären Informationen zu Ausbildung, beruflichem Werdegang.
Beispiel: Ein ausgebildeter Koch mit Meisterabschluss Ende 30 macht sich mit einem Bistro selbständig. In der Corona Krise kommt es zu Schulden, die er nicht mehr begleichen kann und er meldet Insolvenz mit Restschuldbefreiungsantrag an. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärt der Insolvenzverwalter die Freigabe des Bistrobetriebes.
Wäre er in einem Restaurant angestellt tätig, so würde er ca. 2.800 € brutto monatlich verdienen können (Quelle: https://service.destatis.de oder https://www.gehaltsvergleich.com). Netto würde dies 1.900 € bei ihm entsprechen. Bei 1.900 € ohne Unterhaltsberechtigte müsste er im Insolvenzverfahren monatlich 348,80 € (Stand 01/24) an den Insolvenzverwalter zahlen.
Diesen Betrag kann der Schuldner monatlich zahlen oder jährlich, dann aber jeweils spätestens zum 31.01 eines jeden Jahres, bis die 3 Jahre um sind.
3.2 Was gilt, wenn der Gewinn nicht ausreicht, die Zahlungen zu
erbringen?
Reicht der Gewinn aus der Tätigkeit nicht, dann muss der Schuldner zunächst dem Insolvenzverwalter über seine tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben Auskunft geben.
Weiter muss er sich zumindest um ein Arbeitsverhältnis bemühen und in ein solches bei Möglichkeit wechseln. Er ist sozusagen verpflichtet, die bestmögliche Gläubigerbefriedigung zu erreichen und dabei mitzuwirken. Zudem hat er eine Erwerbsobliegenheit nach § 287 a InsO. Er darf also nicht untätig sein, wenn er arbeitsfähig ist und sich nicht der Kindererziehung widmet (in der Regel ist es zulässig, sich um die Kindererziehung zu kümmern bei Kindern im Alter bis 3 Jahre, danach ist zumindest eine Teilzeitbeschäftigung zumutbar) oder verrentet ist.
Die Rechtsprechung, die vor Einführung des § 287 a InsO ergangen ist (BGH ZVI 2013,346; ZVI 2014,268), ist meines Erachtens nach nicht mehr uneingeschränkt anwendbar. Zuvor gab es im laufenden Insolvenzverfahren keine Erwerbsobliegenheit sondern diese nur in der Wohlverhaltenszeit. Daher entschied der BGH, dass deswegen der Schuldner bei zu geringem Gewinn keine Zahlungen an den Insolvenzverwalter leisten müsse. Nun gibt es aber mit § 287 a InsO die Erwerbsobliegenheit auch im eigentlichen Insolvenzverfahren, so dass die vorherige bequeme Lage nicht mehr gilt und dem Schuldner zwar eine Überlegungszeit zuzubilligen ist, die aber nicht zu lange dauern darf. Es besteht die Gefahr, dass der Schuldner seine Pflichten verletzt und ein Gläubiger einen Restschuldbefreiungsversagungsantrag stellen kann, § 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO. Damit ist dann das Ziel der Insolvenz, nämlich Restschuldbefreiung zu erhalten, nicht mehr zu erreichen.
4. Was gilt, wenn ich nicht verpflichtet bin zu arbeiten (z.B. krank oder Rentner bin)?
Im schon erwähnten Urteil des BGH v. 12.10.2023 (IX ZR 162/22) stellt das Gericht klar, dass derjenige, der zwar nicht mehr verpflichtet ist einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, es aber trotzdem als Selbständiger tut, Zahlungen an den Insolvenzverwalter leisten muss, wie wenn er Überstunden machen würde. Nach § 850 a ZPO ist dann die Hälfte zu zahlen.
Also wer Rente bezieht, darf insolvenzrechtlich weiter wirtschaftlich selbstständig tätig sein, muss aber trotzdem das fiktive Einkommen -wenn auch mit der Privilegierung nach § 850 a ZPO analog- an den Insolvenzverwalter zahlen, um die Restschuldbefreiung nicht zu gefährden.
5. Gibt es die Möglichkeit das „fiktive Einkommen“ durch das Gericht bestimmen zu lassen?
Ja, nach § 295 a Abs. 2 InsO kann der Schuldner einen Antrag stellen, dass das Gericht das zu erzielende fiktive monatliche Bruttoeinkommen durch Beschluss festsetzt. Dazu muss der Schuldner alle wesentlichen Faktoren, wie Ausbildung, Werdegang und Vergleichsgehälter dem Gericht gegenüber glaubhaft machen. Aus dem Bruttoeinkommen muss der Schuldner dann selbst sein fiktives Nettoeinkommen und den pfändbaren Betrag ermitteln. Dazu existieren Brutto-Nettorechner und die Pfändungstabelle im Internet.
6. Was gilt in der Wohlverhaltenszeit?
Hier gilt alles, was oben erläutert wurde ebenfalls. Nun aber nicht über den Verweis nach § 35 Abs.2 InsO entsprechend, sondern unmittelbar, also nach § 295 a InsO.
©Heiko Graß
Rechtsanwalt und Mediator
Fachanwalt für Insolvenzrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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